/Figaro! Figaro! Figaro!
Wie aus einem revolutionären Komödienstoff eine der berühmtesten Opern der Welt wurde
Questo giorno di tormenti, Di capricci, e di follia, In contenti, e in allegria, Sole amor può terminar.
Diesen Tag der Schmerzen, der Launen und Verrücktheiten, in Zufriedenheit und Freude zu beenden, vermag nur die Liebe.
(aus: W.A. Mozart, „Le Nozze di Figaro“)
Er war durch und durch Abenteurer. Er war Musiklehrer der Tochter Ludwigs XV., Hofküchenschreiber, Geheimagent und Waffenhändler. Er duellierte sich mit einem gewissen José Clavijo, dem untreuen Ehegatten seiner Schwester (diese Geschichte wurde von Geoethe später in seinem „Clavigo“ verarbeitet). Und er starb, nach einer Odyssee durch halb Europa, vollkommen mittellos am 18. Mai des Jahres 1799 in Paris: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, der Schöpfer des Figaro-Stoffes mit seinen Komödien „Le barbier de Sevilla“ und „La folle journée, ou le mariage de Figaro“. Mutig war er, dieser Beaumarchais: Als einer der ersten Schriftsteller und Komödiendichter seiner Zeit wagte es Beaumarchais, sich mit dem Adel anzulegen, dessen Sitten bloßzustellen und die Standesordnung in Frage zu stellen. Chapeau!
Abenteuerlich wie das Leben Beaumarchais´ war auch das Leben von Lorenzo da Ponte, Mozarts kongenialem Librettisten, unter anderem für „Le Nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“.
Geboren wurde da Ponte als Emmanuele Conegliano und Sohn eines jüdischen Lederhändlers im Ghetto der venezianischen Kleinstadt Ceneda. Im Alter von 14 Jahren wurde er getauft, später studiert er Theologie, macht sich einen Namen als Poet und wird dank seiner umfassenden Kenntnisse der italienischen und klassischen Dichtkunst Professor für Rhetorik an einem Priesterseminar. Seinen späteren Namen hat er übrigens von einem früheren Gönner und Unterstützer übernommen.
Da Pontes Temperament und Lebensauffassung vertrugen sich allerdings nur wenig mit dem geistlichen Stand: Diverse Skandale und ein allzu lockerer Lebenswandel (Liebesaffären, Glücksspiel, Schulden) zwingen da Ponte dazu, aus Italien zu fliehen. Er geht, was für ein Glück für die Musikgeschichte!, nach Wien, wo er am Hofe Kaiser Joseph II. auf Anregung seines Landsmannes, des Hofkapellmeisters Antonio Salieri, zum Hofdichter für die italienische Oper ernannt wird (man bedenke: da Ponte hatte zu diesem Zeitpunkt als Librettist wenig bis nichts vorzuweisen, allerdings als Dichter durchaus schon so etwas wie einen Namen).
Nun tritt Mozart auf den Plan, das Ohr immer am Puls der Zeit und stets durchaus bereit, sich mit politischen Problemen auseinanderzusetzen. Mozart kennt die Figaro-Komödie, deren Aufführung in Frankreich lange Zeit verboten war, angeblich wegen ihrer obszönen Inhalte, in Wahrheit aber weil der Stoff politisch-revolutionärer Zündstoff war: Der Diener will den Herren tanzen lassen! Das war nicht nur respektlos und ungehörig, das war revolutionär! Napoleon stellte gar fest, dass mit der „Hochzeit des Figaro“ die Revolution schon vier Jahre vor dem Sturm auf die Bastille ausgebrochen war.
Ein solcher Stoff musste Mozart gefallen, und schon ein Jahr nach der dann endlich doch stattfindenen Uraufführung von Beaumarchais´ Stück in Paris nahm sich Mozart dieses Stoffes an. Und er war wählerisch, wenn es um die Stücke ging, die er in seine Musiksprache „übersetzen“ wollte: „Ich habe leicht hundert, ja wohl mehr bücheln durchgesehen – allein – ich habe fast kein einziges gefunden, mit welchem ich zufrieden seyn könnte.“
Der Figaro-Stoff, die Figur des Figaro vor allem, aber auch die anderen Figuren der Beaumarchais-Komödie, deren „Interaktionen“ mit ihren vielfältigen und vieldeutigen Verwicklungen und Intrigen, das gefiel Mozart, offenkundig auch wegen der politischen Brisanz, des „revolutionären Ansatzes“. Ein solcher Stoff passte perfekt zur unangepassten und selbstbewussten Persönlichkeit Mozarts, und als idealer Dichter des Librettos sollte sich Lorenzo da Ponte erweisen, der von Mozart mit der Erarbeitung des Textes beauftragt wurde.
Verwicklungen, Intrigen, Skandale: da Ponte war auch darin Meister und pflegte selbst recht gut die Kunst der Intrige im „Haifischbecken“ der Wiener Opernwelt. Allerdings nur so lange Joseph II. seine Hände schützend über ihn hielt. Nach dessen Tod fiel da Ponte, umgeben von Kritikern, Neidern und offenen Feinden, in Ungnade bei dem neuen Kaiser, Leopold II. Da Ponte bemühte sich vergeblich um eine Audienz und schrieb schließlich (in geradezu revolutionärer Figaro-Manier) an den Kaiser: „….fürchten kann ich dich nicht. Mein Schicksal hängt nicht von dir ab!“ Hing es aber letztlich doch, und da Ponte musste, ein Jahr vor Mozarts Tod, Wien für immer verlassen. Immer wieder kurz vor dem Bankrott führte ihn sein Weg zunächst nach Italien, dann nach Holland, England, schließlich mittellos nach Amerika. „Im Alter von fast 90 Jahren“, schreibt da Ponte kurz vor seinem Tod, „habe ich in Amerika kein Brot mehr – ich, der Hofpoet Joseph II., ich, der ich….Mozart inspiriert habe!“ Und in Europa? Dort feierte die Figaro-Oper inzwischen Erfolg um Erfolg, und an da Pontes Verdienste dachte zu dieser Zeit kaum jemand….
Doch zurück zur Zusammenarbeit von Mozart und Da Ponte. Damit überhaupt an eine Aufführung der Oper in Wien zu denken war (Beaumarchais´ Stück war ja auch in Österreich lange Zeit verboten gewesen), musste der Inhalt („ein bizarre Folge von Ereignissen“, so Beaumarchais) ein wenig entschärft werden. Mit einigen Kunstgriffen gelang dies da Ponte: Er lässt Grobheiten weg und kürzt dort, wo das „Deftige“ der Komödie Beaumarchais´ gesungen ohnehin an Wirkung verlieren würde. Der Text bekommt schließlich den Segen der Majestät.
Für die Ersstellung der 700 Seiten umfassenden Partitur benötigt Mozart nur sechs Wochen. Die Wissenschaft ist sich sicher: Mozart ruft die gewaltige Komposition quasi „fertig“ aus seinem Kopf ab und schreibt sie in fast einem Zuge und ohne große Korrekturen nieder. Das Werk eines Genies.
Was Mozart und Da Ponte da realisieren, bezeichnet Michael Zeman in „Wege zu Mozart“ als „Drama der vermischten Empfindungen“. Ein Drama, das drei Generationenebenen und drei Standesebenen umfasst. Zwei Dinge machen die Oper (und letztlich ihren großen Erfolg) aus: die handelnden Figuren (die „Typen“ sind angelegt an die „Standardfiguren“ der italienischen Commedia del´ arte) und deren Charakterisierung durch die Musik. So ist es denn auch berechtigt, Mozarts Werk weniger als „opera buffa“ zu bezeichnen, denn als „comedia per musica“, als Komödie für Musik: Es zählen weniger der komödiantische Knalleffekt als vielmehr die seelischen Zustände und Interaktionen der Charaktere und deren subtiles In-Szene-Gesetzr-Werden durch die Mozart-spezifische Musik. Da Ponte hat keine Komödie geschreiben wie Beaumarchais, sondern ein Drama für Musik.
Dann der 1. Mai 1786, der Tag, den Mozart und da Ponte so sehr herbei gesehnt hatten: Im kaiserlich-königlichen National-Hof-Theater zu Wien kommt es zur von Mozart auf dem Cembalo begleiteten und geleiteten Uraufführung ihres Meisterwerks, misstrausich beäugt von da Pontes und Mozarts Neidern und Konkurrenten. Dem Kaiser gefiel´s, doch ihren Durchbruch erlebte „Le Nozze di Figaro“ erst mit der Aufführung in Prag im Dezember 1786. Das Publikum (offenbar ein wenig aufgeschlosser als jenes in Wien) ist begeistert, und wenn man Mozarts Berichten glauben darf, wird in Prag von nichts anderem mehr gesprochen als vom Figaro, dem „Top-Hit“ der Zeit.
Fünf Jahre später stirbt Mozart. Doch seine großen Opern, und allen voran vielleicht „Die Hochzeit des Figaro“ leben weiter. „Il resto nol dico, giá ognuno lo sa!“ „Den Rest sage ich nicht, jedermann kennt ihn bereits!“
(Auftragsarbeit im Rahmen des Kulturprogramms von Siemens Österreich)